Bunbury

Allgemein, Schauspiel

 

von Oscar Wilde Deutsche Fassung von Elfriede Jelinek nach einer Übersetzung von Karin Rausch | Staatstheater Kassel | 2022

Bühne: Nina Peller
Kostüm: Paula Wellmann
Mitarbeit Kostüme: Sandra Maria Paluch
Musik: Falk Effenberger
Dramaturgie: Dirk Baumann
Fotos: Isabel Machado Rios

»Was bedeute Geschlechtsidentität und welche Rolle spielt stereotypes Verhalten bei der Zuschreibung einer geschlechtlichen Norm? Oscar Wilde war auch in diesen Fragen seiner Zeit voraus. Seine Komödie „Bunbury“, die er selbst als seine wohl beste bezeichnete, wurde 1895 in London uraufgeführt. Wildes Kritik der Oberflächlichkeit gegenüber der englischen Oberschicht erreicht hier einen Höhepunkt. Im Mittelpunkt stehen die beiden Dandys Algernon und Jack. Beide haben sich, um ab und zu den gesellschaftlichen Verpflichtungen zu entfliehen, ein Doppelleben erdacht: Der Stadtmensch Algernon gibt vor, seinen kranken Freund Bunbury auf dem Land pflegen zu müssen, während Jack, der auf dem Land lebt, behauptet, sich um seinen Bruder Ernst in der Stadt kümmern zu müssen. Als die beiden jungen Frauen Gwendolen und Cecily ins Spiel kommen, sind beide gewillt, ihr Lotterleben an den Nagel zu hängen und halten jeweils um die Hand der Damen an. Es gibt nur einen Haken: Beide Frauen haben sich in den Kopf gesetzt, nur jemanden mit dem Namen Ernst könne bei Ihnen die wahre Liebe entfachen.

Obrigkeitsbeschimpfung hat ausgedient

So weit, so gut. Mit den so angelegten Wegen um Verwechselung, Missverständnissen und rettenden Einsichten teilte Wilde vergnüglich gegen den englischen Adel aus, verpackte seine Kritik jedoch gekonnt subtil. Christian Weise liest das Stück anders. Obrigkeitsbeschimpfung taugt nicht (mehr) als Komödie. Vielmehr interessiert den Regisseur das Momentum festgeschriebener Rollenbilder. Mit einem aufwendigen, aber wirkungsvollen Trick, hebelt er gängige Klischees aus, stellt die Frage nach Geschlechtsidentität auf den Kopf: Die männlichen Rollen sind weiblich besetzt und umgekehrt. Aus Jack wird Jaqueline Worthing, Algernon wird zu der bezaubernden Algernine Moncrieff. Aus der schönen Gwendolen wird Honourable Gwendo Fairfax und Cecily wird zu Cecil Cardew.

Damit gelingt dem Regisseur ein Kunstgriff: Männlich gelesene Personen, die vermeintlich weibliches Verhalten an den Tag legen – Schmachten, leicht devotes Auftreten, die Kleider zurecht streichen –, und weiblich gelesene Personen mit deutlich männlichen Verhaltensmustern – breitbeinig sitzen, dominantes Auftreten, der Griff in den Schritt. Der Text, welcher in der deutschen Fassung von Elfriede Jelinek stammt, wurde ebenfalls konsequent umgedeutet.

Der echte Ernst

Zu Beginn treffen Jacqueline und Algernine bei Tee – es wird sehr viel Tee getrunken – und Sandwiches zusammen. Schnell ist die Richtung klar: Vor einer Kulisse mit einer Tapete, die Szenen zeigt, die an das freizügige Decamerone erinnern, unterhalten sich die beiden Damen über ihre amourösen Ansinnen. „Eine Frau muss immer ihren Bunbury bei sich haben“, so Algernine und urteilt weiter über die Ehe: „Was soll an der Ehe denn romantisch sei? – In einer Ehe sind drei genau richtig.“ Aus dem Mund der männerjagenden Frauen, wohlgemerkt verkörpert von männlich gelesenen Schauspielern, äußert komisch.

Und so nimmt das Stück seinen Lauf. Gwendo erhält seinen Heiratsantrag, indem Jacqueline vor ihm niederkniet und ihn anschließend auf Händen trägt. Algernine lässt sich von Cecil umgarnen. Am Ende gibt es dank des Hauslehrers (oder -lehrerin) Prism doch noch einen echten Ernst und abseits des Geschehens ein gebrochenes Herz – die Oberfläche lässt absichtlich nur wenig davon in den Vordergrund treten.

Rokoko-Pop vor frivoler Tapete

Erzählt wird das ganze in einer knallbunten, opulenten Optik. Einem Mix aus Rokoko-Pop und visualisierter Freizügigkeit. Erwähnte Tapete ziert die rückwärtigen Wände, ähnliche bildliche Darstellungen finden sich im Muster der überwiegend in Pink und Grün gehaltenen Kostüme wieder. Und dann die Perücken! Im gleichen Farbspektrum aufgetürmte Barockkunstwerke. Über all dem prangt in großen grünen Lettern der Satz: „The Truth Is Rarely Pure And Never Simple“ („Die Wahrheit ist selten rein und niemals einfach“) – ein Satz aus dem Stück, der wie eine Antwort auf die subtile Fragestellung nach der Geschlechteridentität gelesen werden kann. Eine überdrehte, dafür aber bis ins Detail stimmige Inszenierung einer Komödie, die auch heute noch aktuelle Fragen zulässt und auf vergnügliche Weise zu vermitteln vermag.«

Kirsten Ammermüller, Nachtkritik

»Es ist keine Frage: Oscar Wilde hätte seine helle Freude an dieser Inszenierung gehabt. Die Figuren sind herrlich überspitzt, Stereotype werden benutzt, um sich selbst der Lächerlichkeit preiszugeben, das Gesellschaftsbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts dient als Spiegel für die Gesellschaft von heute. Herzlicher Applaus.«

Kirsten Ammermüller, HNA