Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann

Die Buddenbrooks

Allgemein, Schauspiel

 

von Thomas Mann in einer Fassung von Beate Seidel und Christian Weise | Deutsches Nationaltheater Weimar | 2022

Bühne: Nina Peller
Kostüm: Lane Schäfer
Livemusik: Jens Dohle
Dramaturgie: Beate Seidel
Live-Kamera: FangSheng Chou, Yavor Minchev, Maceo Mahne
Fotos: ©Candy Welz

Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann
Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann

»Das DNT kehrt aus Manns „Buddenbrooks“ die Parodie hervor, bis die Stimmung kippt
Womöglich musste es genau so kommen: dass äußere Umstände einer Pandemie Weimars erstmals für Anfang 2021 annoncierte „Buddenbrooks“ derart auf die lange Bank schoben, bis sie, nach zuletzt wochenweise vertagter Premiere, zur rechten Zeit auf die Bühne und uns aufs Dach steigen.
Denn seitdem kulminierte die diffuse Transformation unserer Wohlstands- und Wachstumsgesell-schaft nicht nur in der Ausrufung einer „Zeitenwende“, die über den konkreten Anlass eines sehr nahen Krieges sehr weit hinaus geht. Wir durften auch schon erfahren, dass wir gar nicht wissen, was das heißt. Ein Ende ist abzusehen. Und dann?
Kaum anders war es, als Thomas Mann 1901 seinen Gesellschaftsroman vorlegte: gleichsam als literarische Schlussbilanz eines vergangenen Jahrhunderts, die ein Ende aller Gewissheit und ungewisses Anfangen bedeutete. Was Mann übrig ließ, war im doppelten Sinn vollendete Parodie, angesiedelt in der Hansestadt Lübeck, an der Peripherie der Geschichte (Zollverein, Revolutionsversuch, Reichseinigung).
Diese Parodie kehren Regisseur Christian Weise und Dramaturgin Beate Seidel im Nationaltheater in ihrer zupackenden Bühnenfassung groß raus. Ihnen gelingt ein bitter-komisches Buddenbrook-Panoptikum der Steifen und Festgefahrenen, der Unberührbaren und Ungerührten, mit süßsauren Mienen sowie schreienden bis kreischenden Seelen-Kostümen (Lane Schäfer).
Aus der Romanbearbeitung wird ein veritables Theaterereignis
Das bedeutet zwar schmerzhafte, doch folgerichtige Entscheidungen für und gegen Figuren auch aus dem Zentrum des überbordenden Personenapparates bei Mann. Bethsy (Dascha Trautwein) und Gerda (Tahera Hashemi) etwa sind im Ensemble dienende Randerscheinungen, die das schrille Porträt „Verfall einer Familie“ komplettieren.
Es entsteht, was sich durchaus nicht von jeder der regelmäßigen Romanbearbeitung im Haus sagen lässt: ein veritables Theaterereignis, dreistündig sowie formal dreiteilig.
An dessen starkem Ende können wir einen Satz vom Anfang beglaubigen: „Ich kann gar nicht sagen, wie gern ich im Theater bin!“ So trat uns Christian Buddenbrook entgegen: Auf schmalem Steg überm Orchestergraben, vor geschlossenem Vorhang hebt Aram Tafreshian (vom Berliner Gorki-Theater) zum großartigen Solo. Er lässt den Hypochonder, Außenseiter und lebenslangen Alleinunterhalter aufgeregt und wie extemporiert binnen vierzig Minuten schon mal vierzig Jahre Familienuntergangsgeschichte auskotzen, bevor er sich in die uns bevorstehende Vergangenheit mit den Worten verabschiedet: „Ich habe nur mal schnell ,Hallo‘ gesagt.“
Die Mitte des Abends gehört der Erzählung von und zu Schwester Tony: „ein verwöhntes, vorneh-mes Geschöpf“, in ein Kleid gewickelt wie in edles Konfektpapier. Und sie gehört: dem Film. Live-Video benutzte Christian Weise zuletzt ausgiebig im Gorki-Theater als Mittel und Metapher, in „Hamlet“ und „Queen Lear“. Es mag mindestens gewöhnungsbedürftig bleiben, im Theater auf die Leinwand zu starren. Hier wird jedoch bald ein organisches Spiel mit Innen- und Außenwelt, mit Film und Bühne daraus, samt Ausbruchsversuchen aus hermetischen Bürgersalons, die Nina Peller auf der Drehbühne doppelbödig detailreich einrichtete.
Kokett, keck, verschlagen schaut Rosa Falkenhagens Tony in die Kamera, voll entzücktem Entsetzen über die drohende Ehe mit Widerling und Mitgiftjäger Grünlich, den Nahuel Häfliger als kriecherischen Finsterling auf die Schleimspur setzt. In der kurzen Ehe lässt Falkenhagen Tony zusehends verblühen und hinter der Fassade der dummen Gans wutschnaubend und hasserfüllt die Bitch aufblitzen.
Nach der Pause schlägt die (letzte) Stunde des Familien- und Firmenerben: Krunoslav Šebreks Thomas, distinguiert bis dorthinaus, ein Leben im Erschöpfungszustand über goldener Klo-schüssel. Das haben sie, zur Musik Jens Dohles, der den Abend nebst fünf Streichern und Harfe am Klavier begleitet, als Oratorium angelegt, aus dem, mit Opern- und mit Sprechchor, eine Passion und ein Requiem werden.
Einmal mehr mal hat uns Weise geschickt komödiantisch eingelullt und so an den Abgrund geführt. Dort kippt die Stimmung heftig. Und so musste es ja wohl kommen.«

Michael Helbing, Thüringer Allgemeine

Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann
Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann
Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann
Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann

»Regie-Theater, das seinen Schauspielerinnen und Schauspielern den Teppich ausrollt, auf dem sie glänzen dürfen. Theater, das einer Vorlage den Respekt erweist, den sie verdient. Und es gleichzeitig so präsentiert, dass es jeden im Publikum in seinen Bann zieht: den belesenen Bildungsbürger, diejenigen, die den Stoff aus dem Fernsehen kennen. Und auch die jungen Leute im Publikum, die sich die Lektüre von 500 Romanseiten ersparen wollen. Nach einem kurzweiligen drei Stunden-Ritt durch den Klassiker wissen im Prinzip auch sie, was im Buch steht. Christian Weise und seiner Dramaturgin Beate Seidel ist das mit ihrer Theaterfassung gelungen. […]
Alle bis auf Thomas Buddenbrook sind schon als Zombies geschminkt, der Verfall der Familie nicht mehr aufzuhalten. „Everything ist not going to be alright“ steht in Leuchtschrift über diesem Totentanz: „Alles wird nicht gut“.
Auf nach Weimar!
Das mag auf die Geschichte gemünzt sein. Für das, was Christian Weise, die Bühnenbildnerin Nina Peller, die Frau für die Kostüme, Lane Schäfer, das Live-Kamera-Team und das in allen Rollen großartige Weimarer Ensemble hier leisten, gilt das nicht. Das war großartiges Theater auf der Höhe der Zeit. Unbedingt hingehen!«

Wolfgang Schilling, MDR Kultur

Christian Weise Buddenbrooks DNT Weimar Thomas Mann
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