Wie es euch gefällt

Allgemein, Schauspiel

von William Shakespeare | Deutsches Nationaltheater Weimar | 2021

Bühne & Kostüm: Joki Tewes & Jana Findeklee
Livemusik: Jens Dohle, Falk Effenberger & Steffen Illner
Dramaturgie: Beate Seidel
Fotos: ©Jana Findeklee




»Der Wald von Arden wird von einer kunterbunten Land-Kommune besiedelt, die Möhren und Rübchen anbaut und in hölzerne Gemüsekisten packt. Die Städter lieben diese Kisten, auch wenn sie insgeheim hoffen, dass bei der nächsten Lieferung nicht schon wieder so viel Brokkoli drin ist. Alles auf dieser Bühne ist bunt und grell. Männer sind Frauen, und Frauen spielen Männer, die sich dann wiederum als Frauen verkleiden. Was ist hier zu erwarten? Heutiges? Parodistisches? Provokantes gar?
„Wie es euch gefällt“ wird gespielt, das Sommertheater des Nationaltheaters auf der Freilichtbühne am alten E-Werk, und es gäbe kaum ein besseres Stück, um die in den Monaten angestaute Lust auf Schauspiel zu befriedigen.

Wir sind’s nur
Der Titel wirkt wie ein Motto, und auf den ersten Blick bedienen Regisseur Christian Weise und sein künstlerisches Team es mit allem, was das Theater zu bieten hat. Glamouröse Kostüme, Live-Musik auf der Bühne mit Hits unter anderem von Bronski Beat und Donna Summer und endlich wieder eine große Besetzung, die ohne spürbare Abstandsregeln groß aufspielt.

Auf den zweiten Blick aber unterläuft die Inszenierung den simplen Sommertheaterspaß, der auf der Hand zu liegen scheint. Sie überdreht ihn, nimmt von allem zu viel: zu viel Kostüm, zu viel Farbe, zu viel Schminke, zu viele große Gesten. Sie vertauscht die Geschlechter gleich doppelt, sowohl in den Rollen als auch in der Besetzung. Aus Rosalind wird Rosalund, ein Mann, gespielt von einer Frau. Aus Orlando wird Orlanda, gespielt von einem Mann. Was in Zusammenhang mit dem ohnehin zum Stück gehörenden Geschlechtertausch im Wald von Arden ein ordentliches Maß an Travestie auf die Bühne zaubert. Vor allem tut es das ohne vordergründige Botschaft, sondern zunächst rein äußerlich. Der Stil ist alles, die Kunst der Übertreibung mehr als die Sache selbst. „Hot Stuff“, nicht nur für die Ohren.

Grelle Überzeichnung
Das erstaunliche Ergebnis ist, dass man mit den Paaren, die die Liebe suchen, völlig unabhängig von Geschlecht und Rolle völlig vorbehaltlos mitfiebert. Darum letztlich geht es ja, wenn Orlanda und Rosalund und Silvia und Phoebus und die anderen sich umkreisen, sich missverstehen und schließlich finden. In dieser Inszenierung, das erreicht die grelle Überzeichnung, soll gespielt und kein Diskurs geführt werden.

Eine Befreiung ebenso, wie das Aufeinanderprallen von Stadt und Land sich in diesem Konzept auflösen. Auch hier sorgt die schiere Übertreibung für klassen- und schrankenlose Empathie. Ein dicklicher Depp? Ein muskulöser Mann im Blümchen-Bikini? Eine Schäferin in Kittelschürze, die auch noch berlinert? Kein Problem. Die Typen vom Lande mögen etwas zurückgeblieben aussehen, aber wie auch bei den schrillen Hofschranzen verstecken sich dahinter Humor und ein intaktes Herz. Damit erobern sie trotz alldem die Herzen des Publikums. Sie sind Menschen, man fühlt mit ihnen mit, obwohl man sich vor Lachen über sie teilweise kaum halten kann. Man mag das „Camp“ nennen. Man kann es aber auch einfach Theater nennen.

Ein kluger Spaß
Diese Inszenierung kommt mit einer Leichtigkeit daher, die zu sagen scheint: wir sind’s nur, euer Theater. Wir spielen für euch, wir sind für euch Herzoginnen und Preisboxer, Schäferinnen und Narren, Frauen und Männer und alles dazwischen. Lacht mit uns, fühlt mit uns, hier ist der Raum dafür. Und vielleicht sprecht ihr auf dem Nachhauseweg oder im Biergarten, das geht ja auch wieder, nicht ganz zufällig darüber, warum dieser Abend, obwohl er gleich etliche Debattenthemen der Zeit zumindest angerissen hat, dennoch so unglaublich unterhaltsam war.

Genau darin nämlich besteht die Raffinesse von Christian Weises Arbeit. Das Spiel mit den Identitäten und den Geschlechtern, mit den Gegensätzen der Jetzt-Zeit, von Stadt und Land, von Adel und Landvolk, von Veganern und Fleischfressern, es polarisiert nicht, es löst sich auf in Selbstverständlichkeiten. In Shakespeares brillanten Dialogen, in denen man sich bekämpfen und zugleich achten kann, in denen geschliffener Witz und derbe Bauernschläue enge Verwandte sind. In immer wieder eingestreuten Bezügen ins Heute, kurzen Andeutungen nur: ein Gendern hier, ein Wortwechsel zum Thema „vegan oder Fleisch“ dort.

Wie Volkstheater zu Shakespeares Zeiten
Ein paar Wortwechsel mit den Zuschauern, ein paar Witzchen auf deren Kosten („Bitte ab 40 keine ärmellosen Kleider mehr!“ – „Jack Wolfskin im Theater? Nicht Ihr Ernst!“), eine kleine Politikergeste („Ich bin es, die Mitte!“), dazu die wirklich ungebremste Spielfreude, und alles zusammen lässt eine Ahnung davon aufkommen, was es mit dem Volkstheater der Shakespeare-Zeit auf sich gehabt haben könnte. Ein kluger Spaß kann mehr als jede Belehrung und jeder aufgesetzte Diskurs. Diese Inszenierung war so ein kluger Spaß. Den frenetischen Applaus hat sie sich redlich verdient.«

Matthias Schmidt, Nachtkritik



»Es geht viel um Identität und Geschlecht. Fast alle Rollen sind mit verkehrten Geschlechtern besetzt. Aber das alles geschieht so raffiniert und so spielfreudig und hintergründig, dass der Abend ein großer, kluger Spaß wird. […] Alle Schauspielerinnen und Schauspieler gehen so in diesen Kunstfiguren auf, dass man sie einfach lieben muss. Dazu gibt es natürlich viel Live-Musik. […] Egal ob Mann, ob Frau oder, wie es im Stück heißt, irgendetwas dazwischen, spielt keine Rolle. Ob Schäferin oder Herzogin, man muss diese Personen einfach ins Herz schließen – bleibt nur zu sagen: hingehen, hinfahren, anschauen!«

Matthias Schmidt, MDR Kultur





»DNT-Sommerkomödie feiert mit Shakespeare den Geschlechtertausch

Nadja Robiné als Rosalund und Krunoslav Šebrek als Madame Touchstone in „Wie es euch gefällt“. Im Hintergrund: Sänger Boris Izvarin als Amiens (links) und Christoph Heckel als Corinna. Candy Welz DNT Weimar

Weimar Man solle der bewussten Dame ausrichten, sagt jene andere, die eigentlich ein Kerl ist und soeben das Bewusstsein verlor, wie gut sie sich dabei verstellte. Denn eine Ohnmacht angesichts ein bisschen Blutes auf dem Tuch, das ist Männerkram und dem starken Geschlecht unwürdig, also einer Frau.

Eine Schauspielerin, Nadja Robiné, spielt einen Mann, Rosalund, der widerwillig in den Wald flieht („Nee, das wird viel zu gefährlich zu uns!“) und dort vorsichtshalber als Ganymaid auftritt, eine Frau: „protzig und martialisch wie alle die anderen, die unverschämt mit ihrem Äußeren bluffen.“ Von Orlanda (Fabian Hagen) verlangt Ganymaid, sie einstweilen für jenen geliebten Rosalund zu halten, der sie ja auch ist .

Alles klar? Na klar! Dergleichen ereignet sich zwar buchstäblich zwischen Kraut und Rüben, in jenem ländlichen Garten der Liebe, den die Ausstatterinnen Jana Findeklee und Joki Tewes an Waldes statt bestellten. Aber es geht nicht so zu. Hier herrscht kein wildes Durcheinander, hier herrscht Ordnung.

Es ist, bei Patriziern und Plebejern, die des Matriarchats. Regisseur Christian Weise und Dramaturgin Beate Seidel verkehren für ihr Weimarer Sommertheater „Wie es euch gefällt“ patriarchalische Verhältnisse in ihr Gegenteil. Shakespeares Männer werden dafür zu Frauen, die von Männern gespielt werden. Und umgekehrt.

Verwandlung mit der größten Ich-bin-was-ich-bin-Selbstverständlichkeit

Das ist keine Verstellung. Das ist eine Verwandlung, in eine Drag-Show, die gegenüber dieser über vierhundert Jahre alten melancholischen Komödie sozusagen Werktreue auf Umwegen bedeutet: „Die ganze Welt ist eine Bühne. Und Männer, Frauen, alle sind bloß Spieler.“ Und damals mussten schließlich ohnehin Männer die Frauen spielen, auch solche, die sich ihrerseits als Männer tarnten.

Auf der Freilichtbühne im E-Werk geht diese Verwandlung mit der größten Ich-bin-was-ich-bin- Selbstverständlichkeit vonstatten: in der Tendenz eher „Ein Käfig voller Narren“ als „Manche mögen’s heiß“. Mit nahezu beiläufiger Grandezza bringen Sebastian Kowski beide Herzoginnen (die Intrigante und die Verstoßene), Krunoslav Šebrek die exaltierte Hofnärrin Touchstone oder Miro Maurer die liebeskranke Schäferin Silvia auf die Bühne.

Gleiches lässt sich von Christoph Heckels Schäferin Corinna sagen: eine Schnodderschnauze in Kittelschürze. Als betagtes Dienstmädchen Eva liefert Heckel allerdings auch die einzige Brachialparodie des Abends ab, weniger alte Kinderfrau in Tschechow-Manier als eine Oma Hoppenstedt à la Loriot.

Rosa Falkenhagen parodiert nicht, ihre Figur tut’s mitunter: Celius, Sohn der einen Herzogin, bewässert als Stehpinkler eine Gießkanne und versucht sich ebenso in Breitbeinigkeiten wie Cousin Rosalund. Beide scheitern immer wieder sehr komisch am zarten Seelenkostüm.

Cornelius Schwalme kämpft derweil mehr mit der Melancholie der Hofdame Jaqueline, als dass er mit ihr spielte; deren Philosophierereien plätschern dabei einfach so aus ihm heraus.

Die große Selbstverständlichkeit des Spiels hat indes einen Haken. Das läuft alles fast zu rund, als Teil einer gut geölten Komödienmaschine, die Christian Weise glänzend zu bedienen weiß. Er setzt dabei nicht nur auf eine kleine Band um seinen Leib-und-Magen-Musiker Jens Dohle und den queeren Sänger Boris Izvarin, die mit Donna Summer, George Michael oder Thelma Houston eine launige Shakespeare-Disco etablieren. Weise inszeniert selbst musikalisch. Da stimmt jeder Ton, jeder Rhythmus – so sehr, dass man sich wünschte, die Maschine geriete mal ins Stottern.

Fulminante Rückkehr aus langer Pandemiepause

Es fehlt: ein irritierendes Moment. Denn so selbstverständlich ist natürlich nichts, beim Suchen und Finden der Liebe wie der eigenen Identität. Dass muss ihnen irgendwann aufgefallen sein, weshalb Thomas Kramer als Orlandas Schwester Olivia einen starken Auftritt bekommt, bei dem sämtliche Hüllen fallen und einer plötzlich zwischen Stühlen (und Geschlechtern) steht: „someone in between“, wie Boris Izvarin sang.

Ansonsten triumphiert das Spiel mit Drinnen und Draußen über jenes mit Inner- und Äußerlichkeiten. Bei Hofe, im Schloss und in der Stadt befindet man sich vorm geschlossenen Varieté-Vorhang in Pink, das Wald-Wiesen-Gartenlager haben sie dahinter aufgeschlagen. Der Auszug ist ein Rückzug.

Und ist doch zugleich, alles in allem, als Sommerspiel des Nationaltheaters eine fulminante Rückkehr, ein Heraustreten aus langer Pandemiepause: ein großes Lust-Spiel, in dem die Lust selbst zwar nur als Seitenthema eine Nebenrolle abbekommt, die Lust der Spieler aufeinander und auf ein Publikum aber explodiert.

Und wir können ausrichten: Sie haben sich dabei nicht verstellt.«

Michael Helbing, Thüringer Allgmeine, 21.06.2021