Die Familie Schroffenstein

Allgemein, Schauspiel

Heinrich von Kleist | Anhaltisches Theater Dessau | 2009

Dramaturgie: Maria Linke
Musik: Jens Dohle
Bühne: Christian Weise
Bühnenmitarbeit & Kostüm: Ulrike Gutbrod




»Dieses frühe, selten gespielte Trauerspiel von 1803, Kleists Erstling, ist eigentlich im Mittelalter und unter deutschen Rittern angesiedelt. Doch das Regieteam um Christian Weise, der auch das Bühnenbild entwarf, hat dem Drama alles, was Burg, Fahnen, Schwerter, Rüstungen bedeuten könnte, radikal ausgetrieben. Nur zweimal dürfen die Männer den Kriegspfad auf hölzernen Steckenpferdchen entlangtraben, was – wie das Stück selbst in manchen Phasen – eine gewisse Komik hat. Im übrigen ist dem Trauerspiel – mit der ganzen Wucht der Kleistschen Sprache – wenig vom unverständlichen, aber unaufhaltsamen Weg ins Verderben beider Familien abhanden gekommen. Nur dass diese in der Kleinbürgerlichkeit angekommen sind.

Wie ein herausgeschnittener Riegel aus einem Plattenbau sind die beiden Wohnzimmer auf die Hinterbühne gebaut, die „Kriegsparteien“ leben fast Wand an Wand, nur durch ein enges Treppenhaus getrennt. Links, bei denen aus dem Haus Rossnitz, wird der kleine Sohn betrauert, der angeblich von denen drüben, dem Haus Warwand, ermordet wurde. Zwischen TV-Gucken und Trauermusik sinnen die Herren der Familie auf Rache, doch zum Rauchen geht man auf den Balkon. Die Zivilisiertheit allerdings findet bald ihre Grenzen: Da wird der Bote der einen Familie auf dem Balkon der anderen blutspritzend erschlagen, was natürlich dem Denken der kleinbürgerlichen Ritter zufolge nicht ungesühnt bleiben darf. Und so klatscht bald weiteres Blut, diesmal an die Flurtür.

Christian Weise setzt solche Drastik nur sehr knapp, sehr gezielt ein. Genauso wie er Anklänge und Ähnlichkeiten des Kleist-Dramas mit einer heutigen Fernseh-Soap immer wieder nur anspielt, sie aber nie dominieren oder gar das Stück karikieren lässt.«

Ute Grundmann, Nachtkritik







»Christian Weise hat am Anhaltischen Theater Dessau, nach Meinung von Andreas Hillger von der Mitteldeutschen Zeitung, „einen plausiblen Weg gefunden“, Kleists Vendetta-Drama „Die Familie Schroffenstein“ ins Heute zu retten: Die Burgen seien bei ihm zwei Plattenbau-Wohnungen. „Man könnte das Missverständnis von Balkon zu Balkon klären“, doch gehe es „blutig, sehr blutig“ zu – „so, wie man es aus den brutalen Fernsehfilmen kennt“. Der Bildschirm, auf dem immerzu David Lynchs „Twin Peaks“ läuft, ersetze hier „die Schule der Gefühle, er überbrückt das Schweigen und kommentiert das Leben“. Damit habe Weise „tatsächlich eine zeitgemäße Entsprechung für den monströsen Erstling des Dichters gefunden: Solche Formate liefern heute den Horror, der sich einst der schwarzen Romantik verdankte“, mit „psychologischem Kammerspiel allein“ sei der „Pulp Fiction nun mal nicht beizukommen“. Neben die „schwer erträglichen Momente“ mit Baseball-Schlägern, Äxten, Pistolen und hartem Sex setze die Regie „immer wieder Passagen, in denen ein Rest von Menschlichkeit aufblitzt“. Der Abend führe „fast das ganze Ensemble in Höchstform zusammen“, allen voran Ines Schiller und Jan Kersjes, die „eine junge Liebe zwischen ungelenker Körperlichkeit und ernstem Gefühl“ zeigen – „zwei Menschenkinder von heute“.«