Mischa Spoliansky | Deutsches Nationaltheater Weimar | 2015
Dramaturgie: Martina Stütz
Musikalische Arrangements: Jens Dohle
Musikalische Leitung: Dirk Sobe
Bühne: Martin Miotk
Kostüm: Andy Besuch
Choreografie: Alan Barnes
Fotos: Luca Abbiento
»Das Stück über einen armen Mann namens Kibis, der einer Reklamebroschüre zu Reichtum und Glück Schritt für Schritt folgt, um aus seiner Finanzmisere rauszukommen, könnte aktueller kaum sein – angesichts von Staatspleiten und Krisengipfeln und noch mehr Krisengipfeln. Das Bemerkenswerte an der Produktion von Regisseur Christian Weise ist, dass sie auf jegliche konkrete Aktualisierung verzichtet, die sonst das A und O des modernen Regietheaters ist, und stattdessen eine historische Bühne (Martin Miotk) im expressionistischen Stil von ‚Das Kabinett des Dr. Caligari‘ nutzt, um geradezu cartoonhaft die Groteske von Kibis & Co. auszuspielen, als „Ein Kursus in zehn Abteilungen“; mit leuchtenden Kostümen von Andy Besuch, die mehrfach Szenenapplaus bekamen. Das Erstaunliche: Obwohl viele Kritiker diesen Retro-Ansatz als „museal“ abtun würden und obwohl die Inszenierung von Anfang bis Ende ein Stilzitat ist, wirkt sie niemals „gestrig“ oder „verstaubt“, geschweige denn „museumshaft“. Vielmehr absolut heutig und in sich schlüssig. Weil Musik, Inhalt und Darstellungsweise hundertprozentig deckungsgleich sind, aber trotzdem aus heutiger Perspektive erzählt werden, was auch ohne jegliche Aktualisierung klar ist.
Dass dieser Abend im Nationaltheater so „heutig“ wirkt, im Gewand von 1930, liegt an den bravourösen Darstellern. Sieben Schauspieler liefern geradezu eine Master-Class ab, wie man diese trocken-ironische Musik der Weimarer Epoche pointiert und richtig serviert – nämlich niemals nur schön gesungen, sondern mit brüchigen Charakterstimmen und doppelbödigem Biss. Das gelingt rundum. Fridolin Sandmeyer als Kibis ist alles auf einmal: charmant, sexy, grotesk, akrobatisch, verzweifelt, anrührend und abstoßend. Und genauso singt er auch. Seine Partnerinnen sind die famose Winnie Böwe als Industriellentochter Marie, die zwar schon reich, aber nicht glücklich ist. Und: Die umwerfend rotzige, gleichzeitig verletzliche Simone Müller als Lis, die sitzen gelassen wird, weil sie nicht genug Geld hat, die aber schlussendlich das Glück bringt, als sie Kibis dann doch noch heiratet.
Die Verwicklungen, die in dieser Revue erzählt werden, vom sozialen Aufstieg des Kibis in die höhere Gesellschaft, sind haarsträubend komisch. Und das Ensemble spielt sie genau so: Uwe Schenker-Primus als kugelrunder Millionär F.D. Lorenz, Bernd Lange als schnöseliger Geheimrat Regen mit blonder Perücke. Vor allem aber begeistert Tobias Schormann in sämtlichen Nebenrollen, wobei er besonders als Zimmermädchen Madeleine eine Wucht ist. Die andere Wuchte ist Nora Quest als „Mädchen, das für die Reihenfolge der Szenen verantwortlich ist“. Sie sieht aus, wie einem Otto-Dix-Gemälde entsprungen, und sie klingt auch so, spielt auch so. Mit diesem verruchten Timbre und dieser heiseren Sexyness. Und sie ist, wie alle an diesem Abend, eine Musiktheaterentdeckung, die sich für Karrieren in der glitzernden Großstadt empfiehlt.
Nun ist es so, dass ‚Wie werde ich reich und glücklich?‘ nicht unbedingt die bekannteste Musik Spolianskys enthält, nicht einmal seine beste. Keiner der Songs ist ein Hit vom Kaliber „Wenn die beste Freundin“ oder „Heute Nacht oder nie“. Aber: Das Stück von Felix Joachimson ist derart gut, dass verständlich ist, wieso sich Weimar entschied, trotz der mangelnden Hits diese und keine andere Revue zu spielen. Musikalisch wurde der Abend von Jens Dohle neu orchestriert und arrangiert, für eine zehnköpfige Band auf der Bühne. Sie wird leider kaum ins Geschehen einbezogen, obwohl passend kostümiert – und die Instrumentation ist, ganz ohne Banjo und Saxophon, nicht wirklich erregend. Da hätte man unter der musikalischen Leitung von Dirk Sobe am Klavier mehr rausholen können, wenn man das wollte.
Aber das tut nichts zur Sache: Auch so ist diese Produktion eine Reise nach Weimar Wert und einer der aufregendsten Musiktheaterabende seit langem. Weil ‚Wie werde ich reich und glücklich?‘ das perfekte Stück für unsere heutige Gesellschaft ist, selbst wenn man es ohne jegliche Aktualisierung spielt. (Die Bezüge sind so sonnenklar, dass das nicht notwendig ist.) Und weil diese Besetzung vermutlich in Deutschland derzeit ihres gleichen sucht. Besonders Fridolin Sandmeyer und die herrlich vulgär berlinernde Winnie Böwe sollte sich Barrie Kosky sofort für seine nächste Saison sichern, ebenso Nora Quest als blonder Engel. Ach was, am besten gleich die ganze Produktion. Denn diese Fassung von ‚Wie werde ich reich und glücklich?‘ gehört nach Berlin, wo die Revue 1930 mit Oskar Karlweis, Blandine Ebinger, Heinz Rühmann, Otto Wallburg und Dolly Haas Premiere feierte in der Komödie am Kurfürstendamm. Es ist verblüffend, wie „heutig“ solche Stücke noch immer sind. Und es ist verblüffend, wie großartig die Musik von Spoliansky funktioniert, selbst wenn sie keine Superhits enthält. Meine Begleitung, ein amerikanischer Musical-Forscher aus New York, der gerade in Deutschland versucht, die Verbindungen von Broadway, Operette, Musical und Kabarett zu erkunden, war trotz mangelnder Deutschkenntnisse im siebenten Himmel und sagte: „I love this, because you would never see anything of the sort in the United States. It’s amazing and amazingly good!“«
Kevin Clarke, klassik.com
»Ein Stück aus der Mottenkiste, szenisch und musikalisch entstaubt und aufpoliert, erinnert an Theater, das wir fast vergessen hatten: ein subversives Geschäft der Nacht, des wilden, lauten Vergnügens, eine unmoralische Anstalt, die dem Augenblick gilt, nicht der Ewigkeit.«
Michael Helbing, Thüringer Allgemeine